Es ist Dienstag, aber man könnte meinen es wäre Sonntag, denn in dieser kleinen französischen Stadt, in der wir uns gerade befinden, sind jegliche Läden, Restaurants und Cafés geschlossen. Wir schlendern in eiserner Kälte durch Senones mitten in den Vogesen und suchen verzweifelt nach einem Ort, wo wir uns aufwärmen können. Nach einer Weile entdecken wir ein Café in der Nähe des Klosters beim Place Domaine Calmet, das als einziges offen zu sein scheint. Auf der roten Sonnenstore steht in weisser Aufschrift «Le Voltaire». Bei genauem Hinschauen erkennt man in verblasster Schrift «Café» an der Fassade. An der Eingangstüre wird gross «free WIFI» angepriesen.
Gleich beim Eintreten beisst sich unerwartet ein unappetitlicher Geruch aus einer Mischung von Haarfärbemittel und abgestandenem Zigarettenrauch in die Nase. Die Kellnerin, welche Gläser poliert, begrüsst uns freundlich. Hinter ihr auf dem Regal stehen etwas versteckt einige Pokale, die an Fussballturnieren gewonnen wurden. Darunter reihen sich diverse Flaschen mit Sirup in verschiedenen Geschmacksrichtungen wie Pfefferminze, Anis und Mandarine. Wir setzen uns an einen Tisch im hinteren Bereich des Lokals. An der Wand hinter uns werden an einer kleinen Magnettafel drei Veranstaltungen angepriesen: Lotto am 11. Februar, Kartenspiel am 4. Februar, sowie ein Pink Floyd-Coverband in Saint-Dié-des-Vosges. Wir bestellen ein Bier und ein Kaffee und versuchen, in die Stimmung des Cafés einzutauchen. Im Hintergrund läuft ein französischer Radiosender, der wechselweise französische Lieder und internationale Hits der letzten Jahre zum Besten gibt.
Die Einrichtung enthält mehrere Jugendstilelemente wie die mit Stuckaturen geschmückte Decke und die reichlich verzierte Deckenwölbung. So richtig in das Bild einer typischen Dorfkneipe passt dies nicht. Die Tische und Stühle sind aus hellem Holz und erinnern eher an eine Schulmensa. An der Wand hängt eine grosse Shabby-Chic-Uhr sowie mehrere auf alt gemachte Bilder, die womöglich das Jugendstil-Flair hervorheben sollen. Rechts von unserem Tisch hängt ein grosser Plasmafernseher, unter dem ein noch voller Spielzeugautomat steht. Für 2€ erhält man eine Plastikkugel, in der ein kleines Spielzeug schimmert.
Neben der Bar steht der Stammtisch, an dem ein älterer Herr und zwei ältere Damen sitzen und Kaffee trinken. Die drei Gäste reden nicht viel miteinander, sondern starren vor sich hin; sie scheinen in Melancholie versunken. Eine schwarzweiss gefleckte Katze taucht aus dem Nichts auftaucht und gesellt sich zu ihnen, jedoch wird sie kaum beachtet. Ein riesiger Plüschbär sitzt hinter den Damen auf der Fensterbank. Daneben eine dunkle Kommode, auf der eine Mikrowelle und ein Drucker stehen.
An der Bar sitzen zwei Männer, die Kaffee trinken. Sie verlassen das Lokal nach kurzer Zeit, und so setzen sich neue Gäste an die Bar, die ebenfalls Kaffee trinkend über irgendein Thema ein paar Worte verlieren. Nebst Kaffee zum Wach Halten wird auch fleissig Bier getrunken wie die vier Zapfhähne am Bartresen zeigen – Unter anderem das elsässische Meteor, das es gleich in mehreren Editionen gibt. Die Barkeeperin unterhält sich vor dem Tresen angeregt mit einer Freundin über einen Bericht aus der Zeitung. Oft gesellen sich die Gäste draussen zueinander um zu rauchen. Wenn sich die Eingangstüre öffnet, bläst ein kühler rauchiger Luftzug in das Café.
Am Tisch neben der Türe sitzen drei Frauen, die sich einander Bilder auf ihren Smartphones zeigen. Nach einer Weile setzt sich ein Freund zu ihnen, bei dem wir uns gefragt haben, ob es der Sohn oder der Partner ist. Kurz bevor sie gehen, unterhält sich die kleine Gruppe mit dem älteren Paar, das sich an den Tisch neben ihnen gesetzt hat.
So geht es in dem Café «Le Voltaire» zu und her. Jeder scheint jeden zu kennen; nur wir sitzen da, unbeachtet, und still das Geschehen beobachtend.


Datum: Januar 2017
Ort: Dieser Text ist im Schreibworkshop mit Ralf Neubauer vom FHWN HGK Institut HyperWerk entstanden. Mit mir zusammen im Voltaire und am Text mitgeschrieben hat Noëmi Rahel Siegfried.